Das wandelnde Comic-Lexikon “Komicx” schildert in seinem Gastbeitrag, wie er zur Passion Comics gekommen ist, wie diese sein Leben geprägt haben und was er an der heutigen Comic-Szene zu bemängeln hat.
Gastbeitrag von: Komicx
Thema: Komicx im Wandel
Mein Name ist Florian und ich hoffe, dass mich die meisten von euch als KOMICX kennen.
Warum? Auf meine eigene verdrehte Art und Weise bin ich ein Nerd mit Doppelidentität, zumindest habe ich mir damals viel Mühe gegeben jenes nerdige Hobby geheim zu halten.
Ich bin ein Kind der 80s, das bedeutet, dass die Uhr, die bei „Watchmen“ auf 5 vor 12 steht, mein gelebter Alltag war. Wir wurden geprägt von Tschernobyl, Angst vor dem Atomkrieg, autofreien Sonntagen, Margret Thatcher, Ronald Reagan, Kohl, dem Mauerfall, Glasnost und in all dem Trubel erzogen uns Menschen, die selbst noch ihren Platz nach den Wirtschaftswunderjahren finden mussten. Natürlich hatte ich eine dramatische Kindheit und dadurch mehr „Freizeit“ als mir lieb war, aber mal ganz ehrlich, wer hatte die nicht. Es lag also an einem selbst seine Helden zu finden, im Alltag wollte es scheinbar keiner mehr sein. Irgendwann als ich 6 Jahre alt war und mit meinen Eltern durch Süd-England tourte, lernte ich Spider-Man kennen und war sofort begeistert. Zumindest so begeistert, dass ich mein ganzes erspartes Geld für Panini Sammelkarten ausgab. Die Serie um die es sich drehte war „Marvel: Secret Wars“. Eine an sich belanglose kosmische Klopperei, die ich erst 10 Jahre später lesen würde.
Ich war begeistert von den bunten Farben und der Action. Vor allem aber konnte ich mich mit den Figuren identifizieren. Ihre Wohnungen und Lebensumstände ähnelten den meinen oder zumindest denen meiner Eltern. Meine Comic-Helden lebten damals in einer Parallelwelt mit ähnlichen politischen Problemen (zum Beispiel das Unglück der Exxon Valdez welches bei Marvel durch den Konzern Roxxon verkörpert wurde/ein zorniger Captain America der sich über den Golfkrieg aufregt/ ein verunsicherter Sidekick der drogenabhängig wurde etc.)
Langsam aber sicher begeisterten mich immer mehr die Charaktere, Schicksale, Erfolge, Niederlagen und der unerbittliche Willen nicht aufzugeben. „Gib. Nicht. Auf!“ Immer wenn ich Angst verspürte, ging ich ihr nach und fühlte mich wie Spider-Man als er niedergeschlagen am Boden lag und sich wieder hochkämpfte. Meine kleinkindliche Angst vor Geistern verlor ich zum Beispiel durch den (für mich) logischen Rückschluss, dass, wenn es tatsächlich Geister gibt, es auch Superkräfte geben muss! Ich wäre damals gerne so gefährlich und unkaputtbar wie Wolverine gewesen oder ein strahlender Held wie Captain America. Ich habe allerdings weder Menschen vor dem sicheren Tod, unter Einsatz meines Lebens, gerettet, noch bin ich ein Millionär in eiserner High-Tech Rüstung geworden.
Wir sind nun mal wer wir sind – und das ist auch gut so.
Im Endeffekt musste ich das auch gar nicht, weil meine Helden mir vorlebten, dass nicht die großen Taten entscheidend sind sondern der Alltag. Tony Stark der alkoholabhängig wurde und stets mit seinem Konsum und der Sucht zu kämpfen hatte. Spidey, der seine Miete nicht zahlen konnte und sich zerriss um es allen Recht zu machen. Captain America, der an der Politik und Regierung verzweifelte. Green Arrow, der für den kleinen Mann eintreten wollte und dafür das Pantheon verließ. Clark, der sich stets im Wege steht und niemals der sein kann der er sein will. Der einzige Unterschied zwischen Tony, Peter, Steve, Ollie, Clark und mir ist, dass ich in einer Welt ohne Superkräfte lebe.
Nehmen wir zum Beispiel Robin, also Dick Grayson, …meinen besten Freund.
Wir kennen uns schon seit Ewigkeiten und haben alles Mögliche und Unmögliche zusammen erlebt. Ich war bei ihm als er seine Eltern verlor, Robin wurde, Batman verließ und Bruce ihn zwang seine Identität aufzugeben, oder als er sich in Kory verliebte bis er es wieder einmal verbockte. Ich war auch da, als er widerwillig Batman ersetzte und erlebte mit ihm seine Siege aber auch seine Verluste und Niederlagen.
Vielleicht ist es aber auch genau das, was wir von unseren Helden lernen können – zu wachsen. Oscar Wilde sagte einst (und nun kommt mein Lieblingszitat, welches ich immer und stets rezitiere)
„Erfahrung ist der Name, den die Menschen ihren Irrtümern geben“.
Die nächste Stufe der Begeisterung entsprang wohl der Erkenntnis, dass sowohl DC als auch MARVEL eigene Universen schufen die man durchwandern und von jedem Blickwinkel aus betrachten konnte. Oder wie mein Geschichtslehrer immer sagte: „ Wenn ihr wirklich etwas über die Geschichte und die Gesellschaft lernen wollt, dann betrachtet die Musik und Philosophie, aber vor allem die Kunst“. Es hat mich Jahre meiner Kindheit gekostet, meine Mutter davon zu überzeugen, dass Comics mich nicht dumm machen würden. Vielleicht musste ich auch deshalb einen gesellschaftspolitischen Sinn in diesen bunten Geschichten finden. Natürlich machen Männer in bunten Kostümen die ihre Unterhosen in aller Öffentlichkeit zeigen und Superkräfte haben dieses Unterfangen nicht unbedingt leichter. Aus Comics lernt man nicht nur Unfug, sondern (wahrscheinlich wegen der inhaltlichen Schwächen der damaligen Stories) kreativ zu denken, die verschiedenen Kryptonitarten (und dass es das als Edelgas im Periodensystem wirklich gibt), wie man seinen Herzrhythmus verlangsamt (danke Batman), welche Auswirkungen Anti-Materie auf Materie haben kann (danke Reed), sondern auch sehr viel über Zeitreisen, Parallelwelten, die Ausdehnung des Alls und ähnlich physikalisch abstruse Theorien, die Jahre später von Stephen Hawking erklärt wurden.
Mittlerweile sind diese Welten wie mein Geburtsort geworden…etwas was mich mit Nostalgie erfüllt, aber mein Leben findet woanders statt. Die Welt dreht sich weiter, das Leben ist ein Geschenk und
unsere Superkraft liegt darin jeden Tag eine bessere Version von uns selbst werden zu können. Ich glaube nicht, dass Heute noch meine Geschichten erzählt werden (bzw. es wird immer schwieriger, eine zu finden). Comics brauchen Verkaufszahlen und die Filme bringen sowohl Kohle als auch Kunden. Ich finde es einfach furchtbar mitanzusehen, wie sich Comics zu Gunsten der Filme und einem neuem (teilweise vollkommen uninteressierten) Publikum verkaufen.
Toll finde ich es aber, wenn man unbekannte Teams wie die „Guardians of the Galaxy“ so kunstvoll überarbeitet. Es ist auch atemberaubend mitzuerleben, wie meine Helden Realität auf der großen Leinwand werden. Marvel macht cineastisch einen ganz tollen Job. Aber wir reden hier wieder über Millionen von Dollar und sowohl DC als auch Marvel zeigen uns, was für ein Riesenausverkauf das Ganze geworden ist. Mit mehr Verstand als Herz überschlagen sich die Produktionsfirmen und zerfleddern großartige Vorlagen um uns neue Comics mit alten, abgeschwächten Geschichten zu präsentieren die keinerlei Moral, Kontext oder Charakterentwicklung aufzeigen – es wird einfach alles so furchtbar beliebig.
Welche Ironie – da warte ich Jahrzehnte damit die Technik endlich auf diesem Level ist und es führt dazu, dass alte Leser und Fans verdrängt und verprellt werden.
Was für eine Rolle spielen auch ein paar hunderttausend Nerds gegen Millionen Neukunden…
Einerseits tut mir dieser Abschied leid aber es freut mich umso mehr zu sehen, dass die klassischen Verlagshäuser meiner Helden sich bereit machen, eine neue Generation von Lesern anzusprechen. Allerdings stimmt es mich traurig miterleben zu müssen, dass es so wirkt als würde man dafür die ursprünglichen Ideale meiner Helden verleugnen um „auf Teufel komm raus“ zu gefallen. Andererseits dreht sich die Welt immer weiter und so etwas bringt einfach stetiger Wandel mit sich.
Das bedeutet allerdings nicht, dass Wandel revidierbar sein darf. Was in der Superheldenszene in den letzten Jahren abging spottet jeder Beschreibung: ein Event folgt dem nächsten nur um dann wieder
nichtig gemacht zu werden …Reboots werden zur unerträglichen, sinnlosen Dauererscheinung, die wie zuletzt bei DC, so etwas wie New52 hervorbrachten und für eine kurzweilige Neukundengewinnung 70 Jahre Comichistorie über Bord warfen nur um uns dann ein neues Reboot zu präsentieren – lächerlich.
Bevor ich in altbekannte Gesichter schaue die mir nichts mehr sagen, verabschiede ich mich lieber in der Hoffnung, manchmal wieder einen Freund zu treffen um mit ihm durch New York zu schwingen, im Baxter Building vorbei zu schauen, Ollies Chilli zu verdrücken während ich Ralph und Sue beim turteln beobachte, zusammen mit Victor und Gar herumalbere und Ray auf meiner Schulter sitzt.
Tja DC, „there was no way to stop you then“ und MARVEL you clearly „made it mine“, aber nun wird es Zeit, weiterzuziehen.
Whoow!!! Glaubt ihr dass ich aussteige? Nein, natürlich nicht…es gibt noch so viel zu erzählen und zu erklären und natürlich schaue ich mir die Neuerscheinungen an, in der Hoffnung hier und da eine der Perlen zu finden, die es ja durchaus noch gibt.