Eine Gesellschaftskritik in schickem Gewand, die aktueller nicht sein kann – und zwar schon seit Menschen Gedenken.
Titel: Lazarus Band 1: Die Macht der Familien
Format: Hardcover
Verlag: Splitter Verlag
Erschienen: 01.01.2016
Autor: Greg Rucka
Zeichner: Michael Lark
Seiten: 120
Preis: 19,80€
Handlung:
Eine Frau wird niedergeschossen. Multiple Verletzungen bescheren ihr bald den Tod – Hauptursache Lungenversagen. Die Täter begeben sich ins Nachbarzimmer und werden wenige Minuten nach der abscheulichen Tat von der eben noch Totgeglaubten niedergestreckt. Die vermeintlich Unsterbliche ist ein Lazarus, ein bionisch verbesserter Mensch, der nahezu unzerstörbar ist. Ihr Name ist Forever und sie beschützt die Familie Carlyle – ihre Familie. Die Welt wurde unter 16 Familien aufgeteilt und die Fehde zwischen den Carlyles und der Familien Morray droht zu eskalieren.
Grafische Aufmachung: 8,5/10
Optisch ist der erste Lazarus-Band gut gelungen. Santi Arcas hat dem Werk düstere Farben geschenkt, die die für Michael Lark typischen, freudlosen Zeichnungen wunderbar unterstützen. Freudlos ist hier jedoch nicht als Kritik zu verstehen, sondern viel mehr als Lob. Die Panels wirken alle in sich abgeschlossen und die bedrückende Dystopie der Geschichte wird auch in den Zeichnungen extrem gekonnt eingefangen. Am meisten fasziniert hat mich jedoch das Cover. Das Motiv ist schlicht, doch durch die Blautöne und die tiefe Wut, die wir der Mimik Forevers entnehmen, wird das Bild zu einem wahrhaftigen Meisterwerk, dessen Besitz sich für jeden Sammler schon alleine dieses Anblicks wegen lohnt!
Anspruch: 9/10
Lazarus Band 1 kommt mit einer Thematik daher, die in Comics kaum bis nie in dieser Form behandelt wurde. Eine Thematik, die seit Jahrhunderten aktuell ist und auch in der heutigen Zeit zunehmend für Probleme sorgt: Die Verteilung von Macht und Reichtum.
Wenn man sich vor Augen führt, dass circa 85 der reichsten Menschen so viel Geld besitzen wie die 3,5 Milliarden der Ärmsten, dann muss jedem bewusst werden, dass dieser Zustand nichts Gutes verheißt.
Vor allem dann nicht, wenn man zusätzlich bedenkt, dass Geld nichts anderes ist als Macht.
Greg Rucka hat diese Tatsache in eine dystopische Geschichte umgewandelt und spielt damit mit den Ängsten vieler Menschen, irgendwann nicht mehr Herr des eigenen Lebens zu sein, sondern offenkundig unter dem Joch der Oberen zu stehen. Umgesetzt wurde dies über alle Maße ansprechend. Die Thematik wird recht subtil nebenher behandelt, so dass sich während des Lesens ein Gefühl der Bestürzung breit macht, die man sich erst beim aktiven Nachdenken erklären kann. Der Grund für diese Subtilität ist die Geschichte, die zuweilen an altbekannte Familien-Epen erinnert und vielleicht auch gerade deshalb sehr gut zu unterhalten weiß. Auch das Einbeziehen von Biologie als Basis für die Unbesiegbarkeit ist ein toller Ansatz, der dem gängigen Science-Fiction-Star, der Nanotechnologie, hier entgegengestellt wird. Die Grundidee hinter dem verbesserten Menschen ist hier nämlich kein komplett utopischer. Realisierbar ist dieses “Tuning der Zellen” heute zwar noch nicht, theoretisch machbar jedoch allemal. Dieses “Vielleicht” als Antwort auf die Frage nach der Realitätsnähe dieser Gen-Modulationen ist es auch, die das ganze Szenario noch bedrückender werden lässt. Und trotz all dieser nur unterschwellig wahrgenommenen Bedrückung hat es Rucka dennoch geschafft, ein absolut stimmiges Werk abzuliefern, das zu begeistern weiß. Bravo!
Gesamteindruck: 9/10
Vorab: Ich habe mir diesen ersten Band aus zweierlei Gründen gekauft. Grund 1 war das atemberaubende Cover. Grund 2 war Greg Rucka, der mit dem zweiten “Gotham Central“-Band schon bewiesen hat, dass er zu den ganz Großen des Storytellings gehört.
Die Geschichte ist einfach wahnsinnig toll geschrieben. Diese Verbindung zweier Zukunftsvisionen – wie sie wirklich einmal Realität werden könnten – ist auf eine perfekte Art und Weise gelungen und sorgte dafür, dass ich das Comic nicht einmal aus der Hand gelegt habe. Die düsteren Bilder verstärken das Gefühl beim Lesen, dass hier irgendetwas nicht stimmt. Ein Unbehagen, das man aber erst nach und nach beginnt zu entschlüsseln. Die Reichen und Mächtigen unterjochen die Menschheit. 16 Familien, die Milliarden regieren und ein Kastensystem, das nur noch zwischen Herren, Knechten und Abfall zu unterscheiden weiß. Diese Zukunft darf es nicht geben und jeder Leser wird nach diesem Band wissen, weshalb es dies zu verhindern gilt.
Auch das zweite behandelte Thema des Comics überzeugt, denn die sonst so inflationäre Verwendung der Nanotechnologie in Sci-Fi-Filmen und -Büchern lässt die Skepsis bei vielen Menschen schwinden und die Gefahren, die damit einher gehen, vergessen. Gerade deshalb war es ein wirklich kluger Schachzug, sich hier einer anderen, doch nicht weniger realistischen Variante des “Gott-Spielens” zu bedienen: Der Genetik. Auch die Namenswahl des Lazarus passt vor diesem Hintergrund zum Setting wie Arsch auf Eimer. Lazarus von Bethanien war nämlich ein Mann, der von Jesus von den Toten auferweckt wurde. (siehe Johannesevangelium) Damit wurde auch im Titel das göttliche Spiel mit Leben und Tod – von dem der Mensch lieber die Finger lassen sollte – aufgegriffen und sorgt so für ein von Anfang bis Ende perfekt abgerundetes Leseerlebnis. Eine klare Kaufempfehlung für alle Fans, die mehr von einem Comic erwarten als plumpe Kloppereien.