Die Comic-Szene erlebt in den letzten Jahren wieder einen regelrechten Boom. Zurückzuführen ist das in erster Linie auf die Comic-Verfilmungen, mit denen man viele der Szene skeptisch gegenüberstehenden Menschen einen Einblick gewährt hat, welch fantastische Welten sich hinter den bunten Covern verbergen. Doch sind Comics wirklich so wie es uns die Filme suggerieren? Sind sie wirklich “nur” plumpes Popcorn-Entertainment, das vor allem für Fantasten und vermeintliche Realitätsflüchtlinge taugt?
Um dieser Frage nachzugehen, muss man erst mal klarstellen, dass die Filme zumeist den beiden großen Verlagen, Marvel und DC, entstammen, in deren Comics Superhelden die wichtigste Rolle einnehmen. Nun sind Superhelden – wie der Name schon sagt – super, besitzen übermenschliche Fähigkeiten und leisten Dinge, die man als Normalsterblicher niemals könnte. Dass dabei insgeheim eine Faszination entsteht und man sich wünscht, in einer solchen Welt zu leben und selbst als Superheld die Erde zu beschützen, ist wohl kein Zeichen von psychischen Problemen, sondern viel mehr logisch. Gerade im oft tristen und monotonen Alltag kommen vielen Menschen solche abstrakten Welten sehr reizvoll und interessant vor, weil sie einen – ähnlich einem Kurzurlaub – kurzfristig aus der Tristesse ausbrechen lassen.
Bis hier hin bewegen wir uns also auf einer recht flachen Eben, in der mehr das Übernatürliche zählt als die Tiefe der Handlung. Doch entgeht vielen Skeptikern etwas, das man nur zu erfahren imstande ist, wenn man sich intensiv mit der Materie Comic befasst: literarisch wertvolle und zuweilen immens anspruchsvolle Geschichten, die jedem Bücherfreund als absolute Pflichtlektüre zu empfehlen wären. Geschichten, die Charakterstudien auf höchstem Niveau abliefern und eine Komplexität aufweisen, die ihresgleichen sucht, sind in der Comic-Landschaft nicht so rar gesät wie man vielleicht meinen würde. Selbst Pop-Ikonen wie Superman, Batman oder Spider-Man nennen Geschichten ihr Eigen, bei denen der Comic-Kritiker wohl kaum Argumente finden würde, diese schlechtzureden. Hier spielen vor allem die Themen Verantwortung, Moral und Ethik eine immense Rolle.
Abseits dieser Superhelden gibt es jedoch noch eine große Zahl an Comics, die sich mit ganz anderen Themen befasst, die literarisch zwischen Krimi, Drama und Fantasy alles sein können und durch Qualitäten glänzen, die Bücher ob der fehlenden Bebilderung mitunter gar nicht imstande sind zu leisten. Wenn die Großen Zeichner der Szene am Werk sind, dann bekommen einfache Bilder eine Seele und gepaart mit grandioser Autorenleistung und phänomenalem Lettering entstehen so Seiten voller Magie und Raffinesse, die nur begeistern können. Um solche Perlen zu entdecken muss man jedoch über den Tellerrand der Kinoadaptionen hinaus schauen und sich auch andere Verlagen ansehen. Image, Dark Horse, Vertigo sind da bekannte Namen aus den USA, doch auch Dargaud und Guy Delcourt Productions aus Frankreich haben fabelhafte und anspruchsvolle Lektüre anzubieten. Sozialkritisch, politisch und oft anprangernd sind diese Geschichten wahrlich als Kulturgut zu bezeichnen, und zwar auch ohne sie erst dem Kunstbegriff der “Graphic Novel” unterzuordnen. Es sind Comics – und zwar auf höchstem anspruchsvollem Niveau!
Grundsätzlich sieht es also in der Comic-Landschaft aus wie in allen anderen Bereichen der Literatur oder Film/Theater auch: Es gibt kulturell Wertvolles und absoluten Mist. Wichtig ist nur, sich nicht nach einem Missgriff abschrecken zu lassen, sondern weiterzulesen und sich dabei selbst die Chance zu geben, wahre Perlen der bebilderten Literatur zu entdecken!
Als kleine Anregung möchte ich noch eine kleine Auswahl meiner persönlichen Empfehlungen geben, die ich jedem Leser ans Herz legen möchte:
Klaus (BOOM! Studios)
Watchmen (DC/Vertigo)
Big Man Plans (Image)
Blast (Dargaud)
Gott höchstselbst (Guy Delcourt Productions)
Nimona (HarperTeen)
Lazarus (Image)
Paper Girls (Image)
V for Vendetta (DC/Vertigo)
Spider-Man: Kraven’s Last Hunt (Marvel)
Saga (Image)