Rezension – I hate Fairyland (Popcom)

Marcel Scharrenbroich hat sich die Image-Reihe “I hate Fairyland”, die hierzulande beim Popcom-Verlag erscheint, zu Herzen genommen und versucht, dem Wahnsinn nicht gänzlich zu verfallen. Ob ihm dies gelungen ist, und ob der Comic genauso abgedreht ist, wie das Cover vermuten lässt, beschreibt er wie immer ausführlich im nachfolgenden Vokabelwulst.

(©Image Comics, erschienen bei Popcom)

Deutscher Titel: I hate Fairyland
Verlag Deutschland: Popcom
Verlag Original: Image Comics
Format:
 Hardcover
Sprache: Deutsch
Erscheinungsdatum: Februar 2017
Autor(en): Skottie Young
Zeichner: Skottie Young

Seiten: 144
Preis: 14 €
Leseprobe: Tokyopop
Bezug: Tokyopop


(©Image Comics)

Happily ever after? Ja… am Ar$©# !!!

Man stelle sich mal folgende Ausgangssituation vor: Ein kleines, knuffiges Mädchen mit himmelblauen Kulleraugen spielt in ihrem bonbonfarbenen Kinderzimmer, dessen Pink-Anteil irgendwo zwischen 99 und 110% liegt und wünscht sich nichts sehnlicher, als in ein zauberhaftes Wunderland zu reisen. Ein Land, das sie aus vielen, vielen Märchen kennt. Vollgestopft bis unters Dach mit Feen, Elfen, Zauberern, Prinzessinnen und fluffig-flauschigen Fabelwesen, die den ganzen lieben Tag lang singend und tanzend über ewiggrüne Wiesen hüpfen und fröhliche Liedchen trällern. Hach, wäre das schöööööön…
Nun, dass manche Wünsche schneller in Erfüllung gehen können als man ahnt, soll die kleine Gertrude ziemlich schnell am eigenen Leib erfahren. Aus heiterem Himmel wird sie aus ihrer rosa Wohlfühlwelt, die Barbie vor Neid dampfendes Blut aus den Ohren schießen ließ, in ein Portal gesaugt, das sie in bester Dorothy/Alice-Manier an einen weit, weit entfernten Ort verschlägt… Willkommen im „Fairyland“!
Doch anders als Dorothy Gale, die in ihrem „zauberhaften Land“ recht sanft mit ihrem Häuschen landet… gut, sie landet zwar auf der bösen Hexe des Ostens, aber wenigstens war die Bude noch heil… schlägt das Mädchen mit dem kotzgrünen Haar gepfeffert auf dem Boden der Tatsachen auf. Besser gesagt: Gert schmiert dermaßen mit der Visage auf den Asphalt, dass das Splittern ihrer Knochen auch noch den letzten Munchkin aus dem Nachbarort vom Stühlchen haut und Willy Wonka vor Schreck die Nüsse aus der Schokolade fallen.

Nach ihrem imposanten Aufschlag wird die leicht demolierte Gertrude erst mal herzlichst von Königin Cloudia und einigen illustren Bewohnern von „Fairyland“ willkommen geheißen. Wohl etwas überfordert äußert das Mädchen den Wunsch, wieder nach Hause zurückkehren zu wollen. Die Madame mit dem güldenen Krönchen offeriert ihr, dass es ein Tor gäbe, welches den schluchzenden Neuankömmling zurück in seine vertraute Welt befördern könne. Einzig ein Schlüssel sei dafür notwendig, den es zu finden gilt. Für ihre Suche wird der Kleinen ein Begleiter an die Seite gestellt, der mit Rat und Tat unterstützen soll: die Zigarre qualmende Lokus-Fliege Larrigon Wentsworth III.. Laut Königin sollte dieses in „Fairyland“ übliche Unterfangen eigentlich nur einen Tag in Anspruch nehmen. Eigentlich… Doch leider ist die gute Gert etwas bescheuert, was den ganzen Bums unwesentlich in die Länge ziehen soll. Machen wir deswegen einen kleinen Sprung…
27 Jahre später rennt die dumme Nuss immer noch planlos durchs „Fairyland“ und vom Schlüssel fehlt weiterhin jede Spur. Die mittlerweile schwer angepisste Mitdreißigerin, die äußerlich noch immer im Körper des unschuldigen Mädchens mit den Kulleraugen steckt, das einst so unsanft den Boden bei seiner Ankunft spaltete, ist im Laufe der Jahre zu einer wahren Ätz-Kuh mutiert, der das ach so tolle Wunderland gehörig auf die Kerze geht… dementsprechend kurz ist auch ihre Zündschnur. Den abgewrackten, quarzenden Larry immer noch in Schlepptau, schlägt, schießt und metzelt sich der Grünschopf durchs mittlerweile verhasste „Fairyland“ und pumpt alles aus den Schuhen, was ihr vor die Flinte kommt. Gert verpasst dem zuckersüßen Kaff einen neuen, blutroten Anstrich und verziert in ihrer Raserei die Wände mit Elfen-Gekröse und Troll-Hirnmasse.

Dass Königin Cloudia das psychopathische Treiben des kleinen „Charles Bronson auf Speed“ nicht ganz so gut gefällt, dürfte sich von selbst verstehen und nur zu gerne würde sie das Gemetzel, dass sogar einem Deadpool die Chimichangas aus der Hose hauen könnte, unterbinden und den Quälgeist mit der großen Klappe vom „Fairyland“-Boden pusten. Es könnte so einfach sein, doch laut Gesetz besitzen Gäste im Schnuckel-Muckel-Knuddelland einen Status der Immunität und dürfen nicht um die Ecke gebracht werden. Auch dann nicht, wenn sie sich seit nunmehr 27 Jahren wie die blutrote Axt im Walde verhalten. Es sei denn…
Tja… es sei denn, ein anderes Kind käme plötzlich ins „Fairyland“ und nimmt als Neuankömmling den Platz des Gastes ein, was Gerts Immunität aufheben würde. Hmmmmm…

Erdacht und gezeichnet wurde das herrlich überdrehte „I hate Fairyland“ vom amerikanischen Ausnahmekünstler Skottie Young, der wohl jedem Comic-Freund ein Begriff sein dürfte. Seine niedlichen Variant-Cover mit cartoonigen, kleinen Marvel-Helden sind nicht nur bei US-Fans sehr beliebt, sondern schaffen es auch in regelmäßiger Häufigkeit auf deutsche Paperbacks. Der sympathische Bartträger (scheint in der gleichen Sekte zu sein wie der Captain und ich…) durfte für Marvel vor einiger Zeit bereits die beliebten „OZ“-Geschichten von L. Frank Baum aufs Papier bringen und verpasste diesen ein einzigartiges Design, mit viel Liebe bei der Charakter-Zeichnung. Damit verbrachte Young einige Jahre und mit dieser märchenhaften Vorkenntnis lässt er jetzt mal richtig die Sau raus und zeigt „OZ“ den Finger!
In seiner eigenen Comic-Reihe, die im Original bei Image Comics erscheint, muss er sich nicht an eine kindgerechte Vorlage halten und kann seiner künstlerischen Kreativität, die hier keine Grenzen zu kennen scheint, freien Lauf lassen. Mit sichtlicher Freude lässt Skottie Young seine Anti-Heldin auf die armen Bewohner von „Fairyland“ los und legt ihr tonnenweise verniedlichte Schimpfworte und sarkastische One-Liner ins große Maul, während sie das zauberhafte Land und seine putzigen Charaktere in Fetzen häckselt. Eine Zuckerguss-Orgie in blutrot…

Youngs unverwechselbarer, dynamischer Zeichenstil macht es dem Leser schwer, das Buch wieder aus der Hand zu legen. Der Detailreichtum und die fantastische, leuchtende Kolorierung laden zum Verweilen ein und lassen immer neue Kleinigkeiten entdecken. Mimik und Gestik der liebevoll gestalteten Charaktere überzeugen jederzeit und lassen mit brüllend komischem Humor und herrlich unbeschwertem Spaß, den ersten Band leider viel zu schnell zu Ende gehen. Glücklicherweise liegt bereits die nicht minder unterhaltsame Fortsetzung vor…

Wer hier Anspruch oder einen tieferen Sinn sucht, sollte einen großen Bogen um die gewaltbereite Gert und ihrem zynisch-summenden Sidekick Larry machen. In „I hate Fairyland“ geht es um Spaß, Spaß und ja, auch ein bisschen Spaß. Der Kontrast zwischen dem wunderschönen Märchenland mit seinen herzallerliebsten Charakteren und der Gewaltorgie, die Asi-Göre Gertrude zelebriert, könnte größer nicht sein. Genau daraus besteht die Stärke des Comics, die nur noch durch Youngs brillante Inszenierung übertroffen wird. Man kann sich nicht satt sehen und merkt dem Zeichner an, mit wie viel Freude er jede Seite, jedes Panel und jeden Charakter aufs Papier zaubert.
Popcom hat die Image-Reihe nach Deutschland geholt und die ersten beiden Bände liegen in hochwertigen Hardcover-Ausgaben vor, die im Preis-/Leistungs-Verhältnis nur schwer zu toppen sind. Für den etwas größeren Geldbeutel gibt es beide Bände auch im übergroßen Luxus-Format, mit dem Gert in der Lage wäre, den einen oder anderen Troll-Schädel zu spalten. Die Luxus-Bände sind limitiert und jeweils in zwei unterschiedlichen Farbvarianten erhältlich, die das Front-Motiv auf schwarzem Hintergrund in den Fokus rücken. Band 1 in Pink und Blau, Band 2 in Türkis und Lila. Dem ersten Teil liegt zudem ein signierter Artprint von Skottie Young bei, der eindrucksvoll zeigt, wie man mit einem gekonnten und gut platzierten Faustschlag Feen oder anderes Tinkerbell-artiges Gedöns problemlos ownt. Sehr hübsch.

Fazit:
Oft durfte ich schon hören, dass „I hate Fairyland“ platt, plump, gewaltverherrlichend, obszön und anspruchslos wäre. Stimmen diese Vorwürfe? JA SICHI… und gerade DESHALB macht es auch so viel Spaß! Leute… es ist ein Comic! Natürlich gibt es inhaltlich ganz andere Kaliber, die einen emotional komplett aus der Furche hauen und einen da kitzeln, wo’s juckt. Aber muss es das NUR sein? Nein, natürlich nicht… und wenn man sich mal 1-2 Stunden eine amüsante, herrlich unbeschwerte Auszeit mit diesem Comic nimmt, ist das kein Beinbruch und schon lange kein Grund mit dem erhobenen Zeigefinger zu wedeln. Wir Comic-Leser und-Freunde haben den Vorteil, dass unser Metier extreeeem breit gefächert ist und uns auf inhaltlicher UND visueller Ebene begeistern kann. Zweites ist bei „I hate Fairyland“ zu 100% geboten und da kann man auf Erstes auch mal pfeifen und sich einfach erfrischend „anspruchslos“ berieseln lassen… im Fernsehen klappt‘s ja auch.